Wie gut kennen Sie Ihren Partner?

(Zwecks der besseren Lesbarkeit, werde ich in diesem Blog ausnahmsweise nicht gendern.)

In diesem Blog möchte ich Ihnen gerne einen Fall aus meiner Praxis schildern.

Sommerzeit ist Urlaubszeit!

So kommt es, dass ein Ehepaar, das in meine Paarberatung kommt, Jahr für Jahr seinen gemeinsamen Urlaub in Italien verbringt. Nennen wir die beiden Anna und Bernd.

Weil Anna Jahr für Jahr Italien als Reiseziel vorschlägt und Bernd diesen Vorschlag akzeptiert.

Wäre Bernd zu sich und seiner Frau ehrlich, würde er lieber an die kühlere Ostsee fahren und einen Aktivurlaub verbringen, statt bei 35 Grad schwitzend an einem Mittelmeer-Strand zu liegen. 

Ich kenne meinen Partner in- und auswendig! Ein weiterer Beziehungsirrtum, der sich bei vielen Paaren einschleicht.

Nach Jahren des Zusammenlebens kommt es bei vielen Paaren zu einer gewissen Routine.

Anna und Bernd glauben, sich in- und auswendig zu kennen. Der Wunsch nach dem gewünschten Reiseziel ist nur eines von vielen Beispielen, wie wenig sie voneinander tatsächlich wissen. Annas Bedürfnis ist es nach Italien zu fahren. Sie glaubt zu wissen, dass es auch Bernds Wunsch ist. Aber hier irrt sie sich. Bernd würde viel lieber an die kühle Ostsee fahren, aber er traut sich seinen Wunsch nicht zu artikulieren.

In den meisten Beziehungen gibt es einen Part, der seine Bedürfnisse gut einfordern und umsetzen kann, und einen Part, der es schlecht bis gar nicht kann. Welcher Typ sind Sie? Können Sie für Ihre Wünsche und Bedürfnisse einstehen?

In dem Beispiel aus meiner Praxis liebt Anna „Bella Italia“ und das dortige „Dolce Vita“ – das Meer, die Sonne, das Essen. Sie freut sich wie selbstverständlich auf den jährlichen Italien-Aufenthalt und kommt gar nicht auf die Idee, dass ihr Ehemann das anders empfinden und eine andere Urlaubsvorstellung haben könnte.

Bernd passt sich an, ohne sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Er kann es nicht, hat es nie gelernt.

Anna fragt nicht nach, weil sie in dem Irrtum lebt, Bernd würde hier so ticken wie sie.

 

Mit der Zeit kann ein solches Verhalten zu einem Beziehungsmuster werden

Steckt ein Teil, also in unserem Fall Bernd, immer wieder – und vielleicht in mehreren Lebensbereichen – seine Bedürfnisse zurück, kommt es irgendwann unweigerlich zur sogenannten „Abrechnung“.
All die Enttäuschungen und der Frust über unerfüllt gebliebene Bedürfnisse brechen auf und kommen heraus.
Bernd rechnet seiner Frau vor, was er alles für sie getan hat und worauf er all die Jahre verzichtet hat.

Und das alles nur, um Annas Bedürfnisse zu erfüllen und seine eigenen Wünsche hinten an zu stellen. Anna war das nicht bewusst - es wurde von Ihr nicht wertgeschätzt. 

Bernd ist wütend auf Anna, weil er jahrelang Rücksicht genommen und auf vieles verzichtet hat. Dazu kommt die Wut auf sich selbst, weil er es nicht geschafft hat, für sich und seine Bedürfnisse einzustehen.

Warum es so schwierig ist, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten

Wie kommt es, dass Bernd es über all die Jahre nicht schafft, seine eigenen Bedürfnisse - in unserem Beispiel eine andere Art von Urlaub - zu benennen und auch dafür einzustehen:
  • Bernd kennt seine eigenen Bedürfnisse gar nicht.
  • Er hat nie gelernt, für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche einzustehen.
  • Er kennt zwar seine Bedürfnisse, hat jedoch Angst, dass die Harmonie mit Anna gestört wird, wenn er sie benennt.
  • Er befürchtet, dass es zu Diskussionen kommt und sie seinen Wunsch mit einem „Nein“ ablehnen könnte.
  • Er meidet jede Art von Konflikten, weil er nie gelernt hat, Konflikte auszutragen.
  • Er hat in der Kindheit erlebt, anderen Menschen entsprechen zu müssen - andernfalls wurde er mit Liebesentzug bestraft.
  • Er hat nie gelernt Grenzen zu ziehen und „Nein“ sagen zu dürfen, ohne die Liebe seiner Bezugsperson zu verlieren.
  • Er hat ein ausgeprägtes Helfersyndrom entwickelt.

Was Anna tun könnte

Anna lebt in dem Beziehungsirrtum, dass ihr Ehemann mit dem Reiseziel genauso zufrieden sei wie sie. Sie glaubt zu wissen, was Bernd sich wünscht, liegt aber falsch. Würde sie einmal konkret nachfragen, hätte ihr Partner die Gelegenheit, sich zu öffnen. 

Wie neugierig sind Sie?

Besonders Paare, die schon lange zusammen sind tappen in die Falle. Sie glauben zu wissen, was der jeweils andere Partner denkt, was er sich wünscht oder wie er fühlt. Bleiben Sie neugierig. Fragen Sie immer wieder nach, was Ihr Partner gerne hätte. Vergewissern Sie sich, ob das was Sie glauben zu wissen auch stimmt. Vergessen Sie dabei nicht, Menschen ändern sich!

 

Diese Fragen hätte Anna Bernd stellen können

  • Willst du denn auch wirklich nach Italien fahren? Liebst du Italien auch so sehr wir ich?
  • Wie geht es dir damit, wenn wir jedes Jahr am gleichen Ort Urlaub machen?
  • Wohin würden wir reisen, wenn es nur nach dir gehen würde?

Sind Sie nun neugierig geworden? Wie gut kennen Sie Ihren Partner wirklich?

Übung:

Beantworten Sie folgende Fragen für sich und Ihren Partner.

Ihre bessere Hälfte macht es ebenso. Im Anschluss sprechen Sie über Ihre Antworten.

Sie werden erstaunt sein, wieviel Neues Sie in Erfahrung bringen und wie gut Sie Ihren Partner kennenlernen werden!

Nebeneffekt: Für Paare die wenig miteinander sprechen bietet diese Übung gleichzeitig ausreichend Gesprächsstoff.

  • Glück bedeutet für mich…
  • Entspannung heißt für mich…
  • Am meisten schätze ich an meinem Partner…
  • Ich bemerke, dass ich meinem Partner wichtig bin, wenn…
  • Wenn ich drei Wünsche frei hätte, würde ich…
  • Die größte Freude kann man mir machen mit…
  • Unsere häufigsten Konfliktpunkte sind…
  • Mein Partner mag beim Sex am liebsten…
  • Die wichtigsten Wünsche und Bedürfnisse meines Partners sind…
  • Mein Partner ist total zufrieden damit, wie wir unsere gemeinsame Zeit verbringen…
  • Wir sind uns einig darüber, wie wir mit unseren Finanzen umgehen…

Wenn Sie Unterstützung brauchen Ihre Bedürfnisse herauszufinden, helfe ich Ihnen gerne in einer Paarberatung weiter.

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